Osteoporose durch Östrogenmangel
Östrogenmangel und Osteoporose bei jungen Frauen
Prämenopausale Frauen mit Osteoporose weisen häufig eine zugrunde liegende Erkrankung auf. Eine gezielte Therapie dieser Erkrankungen sowie antiresorptive und anabole Medikamente verbessern die Knochendichte, jedoch ohne erkennbaren Einfluss auf die Frakturreduktion.
Ein entscheidender Risikofaktor für die Entstehung von Osteoporose ist - neben der Genetik, Immunerkrankungen, Cushing-Syndrom, Ernährung und Medikamenteneinnahme - der Östrogenmangel. Dieser führt nicht nur zu einer verringerten Kalziumaufnahme im Darm, sondern auch zu einer geringeren Stimulation der Osteoblastenaktivität (verminderte TGF-ß, IGF-1, BMP-6)-Produktion und einer verstärkten Osteoklastenaktivität (erhöhte RANKL, M-CSF, IL-6, IL-1, TNF-α)-Produktion.1
„Bei etwa 50 Prozent der Frauen mit Amenorrhoe besteht eine Dysfunktion der hypothalamisch-hypophysären-adrenalen Achse', erläutert Dr. Johannes Ott, Klinische Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Medizinische Universität Wien. Der „zentrale' Hypogonadismus, bei dem Hypothalamus und Hypophyse ihre Funktion verlieren, betrifft etwa ein Drittel der betroffenen Patientinnen. „Und unter diesen ist die funktionelle hypothalamische Amenorrhoe (FHA) weit verbreitet', so Ott. Die drei Hauptursachen der FHA, welche zur Unterbrechung der Eierstockfunktion führen können, sind physischer und psychischer Stress sowie Gewichtsabnahme bzw. Untergewicht.
Aufgrund der schwerwiegenden Folgen einer unbehandelten Amenorrhoe, nämlich dem Knochenverlust, sowie der Altersbeschränkungen bei der Behandlung weiblicher Patienten mit Fruchtbarkeitsproblemen sind eine frühzeitige Diagnose und ein schneller Therapiebeginn von höchster Bedeutung.2
Female Athlete Triad
Die Female Athlete Triad tritt bei sportlich aktiven jungen Frauen auf und zeichnet sich durch niedrige Energiezufuhr, Menstruationsstörungen und geringe Knochendichte aus.3 Die Verminderung der Knochendichte bei intensiv trainierenden Frauen äußert sich in erniedrigten Z-Scores.4 Generell weisen Frauen ohne oder mit seltenen Blutungen eine deutlich niedrigere Knochendichte als Frauen mit regelmäßigen Menstruationszyklen auf.5 Wie eine (kleine) Studie mit jungen Frauen im Alter von 12 bis 18 Jahren gezeigt hat, führt auch bei Jugendlichen ein amenorrhoischer Zustand zu einem erhöhten Frakturrisiko.6
Aufgrund des Östrogenmangels durch hypothalamische Amenorrhoe ist DMPA (Depot-Medroxyprogesteronacetat) als Verhütungsmittel für junge Frauen kontraindiziert, da es primär auf den Hypothalamus einwirkt und iatrogen eine reine FHA hervorrufen kann. „DMPA ist mit einem erhöhten Frakturrisiko und einem nicht erreichbaren ‚Peak Bone Mass‘ verbunden', erklärt Ott.
Die Dauer der Amenorrhö-Phase korreliert - neben einem niedrigen Body-Mass-Index und einem niedrigen Körpergewicht - klar mit der Knochendichte. Ein erhöhtes Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) wirkt negativ, während ein höherer Testosteronwert positiv auf den Knochen einwirkt.7
Knochendichtemessung bei jungen Frauen
Da sich die finale Ausbildung der maximalen Knochendichte erst im Alter zwischen 25 und 30 Jahren vollzieht, sind die meisten jüngeren Frauen mit FHA auch mit einem reduzierten Knochenaufbau konfrontiert.8 Frauen mit primärer Amenorrhoe weisen eine deutlich niedrigere Knochendichte als Frauen mit sekundärer Amenorrhoe auf.9 Ein Positionspapier aus 2008 empfiehlt eine Knochendichtemessung bereits ab einer Amenorrhö-Dauer von 6 Monaten auch bei jungen Frauen.10
Eine weitere besondere Situation betrifft Frauen mit Anorexia nervosa, die durch einen geringen Fettanteil, einen schlechten Ernährungszustand, Hyperkortisolismus, sowie Östrogen- und Testosteronmangel gekennzeichnet sind. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 0,9%, das Osteoporoserisiko ist um das 12,6-fache und das Frakturrisiko um das 1,8-fache erhöht.11 „Die meisten Studien zeigen, dass eine Östrogenisierung bzw. Gestagenisierung bei Anorexia nervosa wenig Erfolg verspricht, da viele weitere Faktoren eine Rolle spielen', so Ott. „Ohne Veränderung des Lebensstils wird sich auch die Knochendichte nicht verbessern.'
„Premature ovarian insufficiency' (POI)
Beim vorzeitigen Wechsel, definiert durch Amenorrhoe, Hypoöstrogenämie und Hypergonadotropismus, liegt die Inzidenz vor dem 40. Lebensjahr bei 1-2% und vor dem 30. Lebensjahr bei 0,1%. Eine POI ist ein Spätfolge der erschöpften Follikelreserve. Die Diagnosekriterien laut ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) lauten: Oligo-/Amenorrhoe ≥ 4 Monate und zwei Mal FSH > 25 IE/ml (mit 4 Wochen Abstand). Meist liegt bei POI eine idiopathische Ursache vor. Faktoren, die die Knochendichte zusätzlich negativ beeinflussen können, sind chromosomale Anomalien (z.B. Turner-Syndrom) oder Autoimmunerkrankungen.
Die Prävalenz der Osteoporose bei POI liegt zwischen 8% und 45%, die Prävalenz von Frakturen ist unbekannt.12 „Obwohl die Datenlage nicht umfassend ist, besteht kein Zweifel, dass die Knochendichte beim vorzeitigen Wechsel negativ beeinflusst und das Frakturrisiko wahrscheinlich erhöht wird', betont Ott.
Nach 3 Jahren einer knochenfreundlichen oralen Estradioltherapie (2mg Estradiol oral + 10mg Dydrogesteron oral/Tag) stiegen in einer polnischen Studie sowohl der T-Score als auch der Z-Score signifikant an.13 Bei vielen Patientinnen, die zuvor eine osteoporotische Knochendichte aufwiesen, verbesserte sich diese nach der Therapie zu einer Osteopenie (T < -2,5 SD: vor HRT 9% Osteoporose, nach HRT 2%).13
Gemäß internationalen Empfehlungen stellt die HRT im POI-Management bzw. bei östrogenbedingtem Knochenverlust die Therapie der ersten Wahl dar und sollte bis ins mittlere Menopausealter (in Österreich ca. 51 Jahre) fortgeführt werden.14 „Eine HRT kann den Knochenabbau stabilisieren und teilweise umkehren', sagt Ott. „Allerdings nur bis zu dem Punkt, an dem der Knochenverlust und das Frakturrisiko auf dem Östrogenmangel beruhen.'
Therapie der prämenopausalen Osteoporose
Bei einer jungen, untergewichtigen Frau mit Menstruationsstörungen sollte die Bedeutung von Muskeltraining hervorgehoben werden. Je höher die „Magermasse' (LBM) - bestehend aus Körpergewicht minus Speicherfett - ist, desto höher sind in der Regel auch die maximale Knochendichte und die Muskelmasse. Eine Veränderung des Lebensstils kann bei Frauen bis zum 30. Lebensjahr zu einer Verbesserung um 20-40% führen.
„Man muss die Frauen auf eine ausreichende Kalziumzufuhr, entweder durch Milchprodukte oder Nahrungsergänzungsmittel, hinweisen. Bei unterernährten Frauen sind körperliche Aktivität und Proteinzufuhr essentiell', erklärt Dr. Elisabeth Lerchbaum, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Graz. Ebenso unterstützt ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel (≥50 nmol/l) die Knochenbildung.
Verschiedene Grunderkrankungen sind mit unterschiedlichen Risiken für die Entwicklung einer prämenopausalen Osteoporose verbunden. So besteht bei Diabetes Typ 1 ein 6-fach erhöhtes Risiko. Bei prämenopausalen Frauen mit bekannten Ursachen für sekundäre Osteoporose liegt die Prävalenz niedriger Knochenmasse (definiert als Z-Score ≤-2 SD) wie bei Patienten mit systemischem Lupus erythematodes bei 17,3%, bei rheumatoider Arthritis bei 7,3%, bei Cushing-Erkrankungen bei 44,5%, bei HIV bei 35% und bei Mukoviszidose bei 45%.15 „Ob es sich um eine ‚echte‘ Osteoporose oder lediglich um eine physiologisch niedrige Knochenmasse handelt, muss radiologisch und biochemisch abgeklärt werden. Sind bereits Fragilitätsfrakturen aufgetreten, ist die Diagnose eindeutig', erklärt Lerchbaum.
In einem Übersichtsartikel wird eine biochemische und hormonelle Untersuchung zur Erkennung sekundärer Osteoporoseursachen plus DXA-Scan von Wirbelsäule und proximalem Femur bei jüngeren Erwachsenen empfohlen.16 Das Standardprogramm sollte auch die Erfassung klassischer Osteoporoserisikofaktoren (Rauchen, Alkoholkonsum, Untergewicht, Zyklusstörungen, Familiengeschichte) einschließen. Zusätzlich sollte eine Vitamin-D-Supplementierung (mit dem Ziel >20 ng/ml) und die Steigerung der Kalziumzufuhr auf 1000 mg täglich bzw. durch Supplemente erfolgen. Rauchentwöhnung, Ausdauer- und Krafttraining, sowie die Behandlung bestehender chronischer Erkrankungen sind essentiell. Ist kein Gegenanzeigen vorhanden, kann eine Substitution von Sexualsteroiden bei hypogonadalen Männern und Frauen in Betracht gezogen werden.
Bei Frauen mit geringem Risiko (niedriger Z-Score, keine Frakturen, kein Kortison) kann die Basistherapie (bestehend aus Lebensstilverbesserung, Vermeidung von Risikofaktoren und ggf. Nahrungsergänzung) angewendet werden. Frauen, die trotz Therapie Frakturen erlitten haben, können von einer anabolen Therapie profitieren. Bei Hochrisikopatientinnen (niedriger Z-Score ≤-2,0, Kortisontherapie) soll zwischen anaboler und antiresorptiver Therapie entschieden werden. Eine medikamentöse, osteoporose-spezifische Therapie (Bisphosphonate, Denosumab, Teriparatid) ist Frauen mit schwerer Osteoporose bzw. solchen mit Fragilitätsfrakturen vorbehalten.
Die aktuellen Leitlinien konzentrieren sich auf postmenopausale Osteoporose und geben keine Empfehlung für ein DXA-Screening für prämenopausale Frauen.17 „Auch zur Abschätzung des Frakturrisikos können geeignete Tools wie FRAX bei jungen Frauen nicht angewendet werden, da die zugrundeliegenden Daten hauptsächlich von Frauen über 40 Jahren stammen', erklärt Lerchbaum. Die Möglichkeit der HR-pQCT-Bildgebung in Ergänzung zur DXA sollte jedoch berücksichtigt werden.18
Bei sekundärer Osteoporose ist das Risiko stark von der Grunderkrankung und ihrer Behandelbarkeit abhängig. Sind bereits größere Fragilitätsfrakturen (Hüfte, Wirbelsäule, Oberarmknochen, Speiche) aufgetreten, besteht ein hohes Risiko für weitere Frakturen.
Quelle:
Osteoporoseforum 2022, 23.-25. Juni 2022, St. Wolfgang
Literatur:
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