Der narcisstische Persönlichkeitsstil
Narcisstische Persönlichkeitsstörung
In diesem Abschnitt erhalten Sie eine prägnante Zusammenfassung aller wesentlichen Informationen bezüglich der narzisstischen Persönlichkeitsstörung.
Eine Einordnung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in das umfassendere Konzept des Narzissmus, ergänzt durch weiterführende Details zu Charakteristika, Ursachen, Manifestationen, Schweregraden und Behandlungsmethoden von Narzissmus sowie zur Entstehung des Begriffs, ist im Artikel Narzissmus zu finden.
Der Begriff "Narzisst" wird im allgemeinen Sprachgebrauch für eine Person verwendet, die sich durch ausgeprägten Egoismus, Arroganz und Selbstbezogenheit auszeichnet und anderen gegenüber eine rücksichtslose Haltung einnimmt.
Demgegenüber stellt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung eine tiefgreifende Beeinträchtigung der Persönlichkeit dar, gekennzeichnet durch ein unzureichendes Selbstwertgefühl und eine hohe Sensibilität gegenüber Kritik. Diese Merkmale wechseln sich ab mit einer auffälligen Selbstbewunderung, übermäßiger Eitelkeit und einem nach außen hin übersteigerten Selbstbewusstsein. Letzteres dient den Betroffenen dazu, ihr geringes Selbstwertgefühl zu kompensieren. Zudem fällt es ihnen schwer, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.
Die Betroffenen neigen dazu, sich nach außen hin als herausragend darzustellen. Sie heben beispielsweise ihre beruflichen Erfolge hervor, präsentieren sich sehr statusbewusst oder pflegen eine Vorliebe für exklusive Aktivitäten. Oft überschätzen sie hierbei ihre eigenen Fähigkeiten oder stellen diese besser dar, als sie es in Wirklichkeit sind. Darüber hinaus neigen sie zur Lüge - mit dem Ziel, Zuwendung und Anerkennung zu erlangen oder ihren eigenen Willen durchzusetzen. Aufgrund ihres mangelnden Einfühlungsvermögens verhalten sie sich anderen gegenüber häufig in einer Weise, die sie selbst nicht erfahren möchten: Sie beuten andere aus oder zerstören aus Neid deren Errungenschaften.
Michael war fest davon überzeugt, eine außergewöhnliche Person zu sein: Er hielt sich für überdurchschnittlich intelligent und attraktiv, für jemanden, der im Berufsleben herausragende Leistungen erbrachte, einen großen Bekanntenkreis besaß und stets eine tiefe Beziehung mit einer ansprechenden Frau führte. Bereits in seiner Kindheit und Jugend war er der Meinung, dass ihm eigentlich mehr zustand, als er erhielt.
Auf eine Stellenausschreibung als Zeitungsherausgeber bewarb er sich mit den Worten: „Ich bin außergewöhnlich talentiert. Ich bin überzeugt, dass ich in dieser Funktion Großes leisten und kurzfristig einen neuen Maßstab in dieser Region setzen werde.' In seiner neuen Tätigkeit zeigte er zwar gute Leistungen - jedoch nicht die überragenden, die er selbst glaubte zu erbringen. Zudem war er nach kurzer Zeit bei seinen Kollegen und Mitarbeitern äußerst unbeliebt. Sie empfanden ihn als arrogant, eingebildet und egozentrisch. Oft prahlte er mit grandiosen Zukunftsplänen, manipulierte andere, erlebte cholerische Gefühlsausbrüche und weigerte sich, Verantwortung zu übernehmen, wenn etwas schiefging. Bei auch nur leichter Kritik reagierte er wütend und war überzeugt, dass die anderen lediglich neidisch auf ihn seien.
Auf den ersten Blick wirkte Michael zwar charmant und gesellschaftlich erfolgreich. Seinen Charme nutzte er jedoch lediglich, um aus anderen Menschen Profit zu schlagen. Auch seine Beziehungen waren oberflächlich: Von seinen Partnerinnen hatte er oft nach kurzer Zeit genug, behandelte sie dann abweisend und beendete die Beziehungen recht gefühllos. Er selbst empfand über die Trennungen keine Traurigkeit - und auch andere Menschen bedeuteten ihm nichts, es sei denn, sie waren für seine Ziele nützlich. (nach Comer, 2008)
Symptome und Prävalenz der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Gemäß dem DSM haben die Betroffenen eine überhöhte Vorstellung von ihrer eigenen Bedeutung. Sie beanspruchen und erwarten fortwährende Bewunderung und Lob von anderen. Gleichzeitig ist ihre Fähigkeit, die Perspektiven anderer Menschen einzunehmen, nur begrenzt vorhanden. Die Störung manifestiert sich typischerweise in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Zur Diagnose sind mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt:
- Die Betroffenen besitzen ein grandioses Selbstbild ihrer eigenen Wichtigkeit. Sie übertreiben beispielsweise ihre Leistungen und Begabungen oder erwarten, ohne entsprechende Erfolge, von anderen als überlegen anerkannt zu werden.
- Sie sind tief in Fantasien über grenzenlosen Erfolg, Macht, Genialität, Schönheit oder idealisierte Liebe eingetaucht.
- Sie halten sich selbst für "besonders" und einzigartig. Daher sind sie davon überzeugt, nur von anderen "besonderen" oder hochrangigen Personen verstanden zu werden oder nur mit diesen in Kontakt treten zu müssen.
- Sie benötigen exzessive Bewunderung.
- Sie weisen ein stark ausgeprägtes Anspruchsdenken auf. Dies bedeutet, dass sie die überzogene Erwartung haben, dass ihren Wünschen automatisch nachgekommen wird oder dass sie eine bevorzugte Behandlung erfahren.
- Sie agieren in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d.h., sie nutzen andere aus, um ihre persönlichen Ziele zu erreichen.
- Sie zeigen einen Mangel an Empathie, was bedeutet, dass sie nicht bereit sind, die Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen, zu akzeptieren oder sich in sie hineinzuversetzen.
- Sie sind häufig neidisch auf andere oder glauben, dass andere neidisch auf sie sind.
- Sie präsentieren arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten.
Im Gegensatz zum DSM wird die narzisstische Persönlichkeitsstörung in der ICD-10 lediglich unter den "sonstigen spezifischen Persönlichkeitsstörungen" aufgeführt, jedoch ohne detaillierte Beschreibung.
Siehe Abschnitt Narzissmus-Typen im Artikel Narzissmus.
Wie häufig tritt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf? Welche anderen Erkrankungen sind häufig komorbid?
Es wird vermutet, dass weniger als ein Prozent der Bevölkerung von dieser Störung betroffen ist. Dabei sind 75 Prozent der Betroffenen männlich und 25 Prozent weiblich. Die Störung wird häufig in Verbindung mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung beobachtet. Abschnitt
Siehe Abschnitt Begleiterkrankungen im Artikel Narzissmus.
Ursachen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Auch bei dieser Störung geht man von einem Zusammenspiel biologischer, psychischer und umweltbedingter Faktoren aus. Es wird angenommen, dass genetische Prädispositionen bei der Entstehung eine Rolle spielen. Weiterhin kann die Störung begünstigt werden, wenn Eltern ihrem Kind wenig Anerkennung entgegenbringen, wenig einfühlsam sind und es möglicherweise sogar überfordern. Um dennoch Anerkennung zu erhalten, entwickeln die Betroffenen dann ein Verhaltensmuster, bei dem sie ständig die eigenen Fähigkeiten betonen und sich nach außen hin besonders vorteilhaft darstellen.
Die psychoanalytische Theorie postuliert, dass Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung in ihrer Kindheit zu wenig Liebe und Anerkennung von den Eltern erfahren haben. Es könnte jedoch auch sein, dass die Eltern ihr Kind und dessen Wünsche in den Mittelpunkt stellten und es übermäßig für seine Talente bewunderten.
Die Betroffenen durchleben ein ständiges Schwanken zwischen einem übermäßig positiven Selbstbild und der Furcht, den Erwartungen anderer nicht gerecht zu werden. Sie sind überzeugt, nur dann geliebt zu werden, wenn sie viel dafür leisten und fortwährend ihre Talente und Besonderheiten zur Schau stellen, und benötigen ständige Bestätigung von außen.
Die anhaltenden Neidgefühle und das Fehlen von Empathie lassen sich aus psychoanalytischer Sicht damit erklären, dass die Betroffenen unbewusste Wut auf andere hegen. Ihre Tendenz, andere auszunutzen und zu manipulieren, führt zudem dazu, dass sie keine befriedigenden zwischenmenschlichen Beziehungen aufbauen können.
Die kognitive Verhaltenstherapie geht davon aus, dass die Betroffenen in ihren frühen Lebensjahren zu positiv behandelt wurden - sie wurden beispielsweise von ihren Eltern regelrecht angebetet, bewundert oder idealisiert. Dadurch entwickeln sie ein Selbstbild als etwas Besonderes und überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten.
Narzissmus-Test
Behandlung von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen
Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung wird primär mittels Psychotherapie behandelt. Allerdings suchen Betroffene nur selten eigeninitiativ eine Therapie auf. Gründe für eine Therapiebehandlung sind meist andere psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen.
Mögliche Herausforderungen in der Psychotherapie und Lösungsansätze
Da die Betroffenen sich selbst als etwas Besonderes erachten und dieses Bild ungern hinterfragen möchten, gilt die Störung als relativ schwierig zu behandeln. In der Therapie ist es daher ratsam, diese Sichtweise als eine Art Selbstschutz zu interpretieren, der den Patienten zumindest oberflächlich ein Gefühl von Selbstwert verleiht und sie vor psychischen Krisen bewahrt.
Eine weitere häufige Schwierigkeit in der Therapie besteht darin, dass die Betroffenen glauben, einen Anspruch auf eine ganz besondere Behandlung zu haben. Zudem neigen sie dazu, den Therapeuten zunächst zu bewundern und zu idealisieren, um ihn dann aber wiederum mit Neidgefühlen oder Abwertung zu konfrontieren. Charakteristisch ist ferner ihre Neigung, den Therapeuten zu bestimmten Verhaltensweisen zu manipulieren. Daher ist es essenziell, die zentralen persönlichen Bedürfnisse der Patienten zu erkennen und darauf einzugehen - jedoch auch klare Regeln und Grenzen zu etablieren.
Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie
Im Rahmen der psychoanalytischen Therapie wurden verschiedene Ansätze zur Bewältigung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung entwickelt. Die übertragungsfokussierte Psychotherapie nach Otto Kernberg und John Clarkin geht davon aus, dass in der Therapie mit Deutungen gearbeitet und die Patienten damit konfrontiert werden sollte, dass ihre Selbstüberschätzung ein Abwehrmechanismus gegen Wut, Aggression und Neidgefühle darstellt. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass diese Vorgehensweise oft zu vorzeitigen Therapieabbrüchen führt.
Auch andere Psychoanalytiker wie Heinz Kohut betrachten ein konfrontatives Vorgehen als wenig zielführend, da es lediglich Abwehrreaktionen beim Patienten hervorrufe. Stattdessen erachten Kohut und seine Nachfolger ein unterstützendes, einfühlsames und fürsorgliches Vorgehen als deutlich angemessener. Sie betonen, dass der Therapeut die Betroffenen auch dann respektvoll und mitfühlend behandeln sollte, wenn diese ihn entweder extrem idealisieren oder abwerten. Auf diese Weise kann der Patient erfahren, dass er als Person Akzeptanz und Wertschätzung erfährt und allmählich ein positiveres Selbstbild entwickeln, bei dem er nicht fortwährend auf die Bewunderung anderer angewiesen ist.
Kognitive Verhaltenstherapie
Auch hier stellt der Aufbau einer tragfähigen, wertschätzenden therapeutischen Beziehung ein wesentliches Element der Behandlung dar. Dabei werden die Charakteristika des Patienten nicht moralisch bewertet. Stattdessen wird auf sehr konkrete Erfahrungen und Probleme eingegangen. Anhand dieser können charakteristische Schwierigkeiten des Patienten im Umgang mit zwischenmenschlichen Beziehungen herausgearbeitet und schrittweise verändert werden.
Des Weiteren wird versucht, ungünstige Denkmuster zu modifizieren - beispielsweise die Annahme, stets perfekt sein zu müssen, um von anderen akzeptiert und geschätzt zu werden. Die Patienten können lernen, ihr Selbstwertgefühl nicht mehr derart stark von der Meinung anderer abhängig zu machen und besser mit Kritik umzugehen. Das dichotomische Denken der Patienten (also die Tendenz, sich selbst oder andere wechselweise als grandios, dann aber als wertlos einzustufen) wird hinterfragt und allmählich durch eine differenziertere Betrachtungsweise ersetzt.
Um die Entwicklung von Empathie bei den Betroffenen zu fördern, können Rollenspiele mit Video-Feedback eingesetzt werden. Hierbei können sie erleben, wie ihr eigenes Verhalten auf andere wirkt, und es anschließend entsprechend anpassen.
Siehe Abschnitt Behandlungsmöglichkeiten im Artikel Narzissmus
Therapie mit Psychopharmaka
In der Regel werden Psychopharmaka bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung nicht als förderlich erachtet. Sie kommen vorrangig dann zum Einsatz, wenn gleichzeitig andere psychische Beeinträchtigungen, wie beispielsweise eine Depression, vorliegen.
Der narzisstische Persönlichkeitsstil nach Kuhl & Kazén
Personen mit einem narzisstischen Persönlichkeitsstil - welcher der narzisstischen Persönlichkeitsstörung ähnelt, jedoch weniger ausgeprägt ist - legen Wert auf das Außergewöhnliche. Sie sind beispielsweise stark leistungsorientiert, bevorzugen auffällige Kleidung und zeigen ein statusbewusstes Auftreten. Sie sind oft ehrgeizig und haben hohe Erwartungen. Dies kann jedoch auch dazu führen, dass sie schnell gekränkt sind oder Neid auf andere empfinden.
Siehe Abschnitt Formen narzisstischer Persönlichkeitsmerkmale im Artikel Narzissmus
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Selbstunsicher